Letztlich ist es wirklich meine eigene Ohnmacht (und natürlich die Macht der anderen, wie Adorno meinte), die mich zornig macht. Es geht um Äußerungen wie die von Herrn Laschet, der landesväterlich gebremst die angebliche Wankelmütigkeit der Virologenkaste bemängelt. Oder um die des Herrn Blome, der sich tatsächlich nicht entblödet und Frau Merkel einen infantilen Umgangston mit den Bürger*innen bescheinigt. Was der Herr Lindner ja schon lange bemängelt. Nun denn. Dieser illustren Intelligenzia kann ich schlecht mangelndes Denkvermögen unterstellen. Ihre Äußerungen müssen also andere Gründe haben. Verletztes Ego, Profilierungssucht, Eitelkeit, mangelnde Phantasie, intellektuelle Mattheit, es gibt viele Mutmaßungen, und vielleicht ist es ja von allem etwas!

Mich regt das aus dem Grund auf, weil sie damit etwas sabotieren, was für unser soziales Zusammenleben, vor allem in Krisenzeiten, eminent wichtig ist: Das Wissen darum, wie Wissenschaft funktioniert, wie sie arbeitet, wie sie zu Erkenntnissen kommt. Wissenschaft ist ständig in Veränderung, stellt alles andauernd in Frage, bleibt immer kritisch, ist quasi Struktur und Methode gewordene Skepsis. Es ist ein kontinuierliches Sammeln von Daten, weltweit und interdisziplinär, entlang der Überlegung des Philosophen Karl Popper, dass eine Hypothese so lange gilt, bis sie widerlegt ist. Bis dahin ist sie aber auch nur wahrscheinlich gültig, was auch so deutlich zu formulieren ist! Deshalb wird begutachtet, geprüft, vermutet, verworfen, gesammelt, usw., in einem Tempo, das für wissenschaftliche Arbeiten enorm ist.

In all dem steckt grundsätzlich nie Klarheit, im Sinne von Eindeutigkeit. Oder Sicherheit. Und deshalb kommen die Aussagen unterschiedlicher Virologen mitunter auch so unterschiedlich daher, vor allem hinsichtlich der zu empfehlenden Maßnahmen in Form politischer Entscheidungen. Bisher war, vor diesem uneindeutigen wissenschaftlichen Hintergrund, ein wägendes, tastendes Vorgehen festzustellen, mit der notwendigen Sorgfalt, und dem offenen Blick für die Komplexität der gesellschaftlichen Situation. Deshalb habe ich das Vorgehen der Regierung als angemessen eingeschätzt, und die Kommunikation als sachlich unaufgeregt, ernsthaft und klar.

Bei all dem, was in einigen europäischen Nachbarländern an rigorosen Maßnahmen durchgeführt wird, halte ich das Vorgehen der Bundesregierung, gerade vor dem Hintergrund der demokratischen Grundrechte, für vollkommen adäquat. Der Einwurf von Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung zu gerade diesem Zusammenhang bleibt jedoch prinzipiell gerechtfertigt. Jede Maßnahme in dieser Pandemie braucht die Akzeptanz möglichst vieler Menschen. Und die wird umso leichter sich einstellen, je besser die demokratischen Grundrechte in der Argumentation, in den Alltagsgesprächen integriert sind. Prantl weist darauf hin, dass die Pressefreiheit einen unverzichtbaren Beitrag dazu leistet, indem sie konstruktiv und vernehmbar Kritik übt, und Menschen miteinander ins Gespräch bringt.

Die zu Anfang genannten Herren unterminieren mit ihren Äußerungen diesen demokratischen Mechanismus, mit dem fadenscheinigen Grund, in der Demokratie müsse man das sogar sagen, so jedenfalls Herr Lindner. Was mich umstandslos an die scheinbare Alternativlosigkeit von Letztbegründungen  wie "deus lo vult - Gott will es!" erinnert, mit der noch jedes Massaker gerechtfertigt werden konnte. Nun gut, etwas martialisch vielleicht. Aber der Zorn ist groß, das muss auch irgendwie zum Ausdruck kommen. Ein weiterer Aspekt, der das Wachstum meines Zorns begünstigt, ist der, dass solche Aussagen wie die eingangs erwähnten sich missbrauchen lassen, Beifall von der falschen Seite sozusagen! In den sozialen Netzwerken sind reichlich selbsternannte Kritiker (vor allem Männer, das braucht man nicht gendern) unterwegs, die, ganz offiziell nachgewiesen, als sog. Verschörungstheoretiker ihre kruden Gedanken streuen, wissenschaftlich verbrämt, und unter dem demokratischen Deckmäntelchen des "Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen". Jede Kritik an ihren Aussagen wird mit diesem Verweis genauso rigoros abgeschmettert, wie in der Haltung des Herrn Lindner, der das Framing des Wortes Demokratie aus gleichem Grund für sich nutzt.

Auf diese Art und Weise wird es zu einem konstruktiven Dialog wohl nicht kommen, der doch gerade jetzt nicht nur notwenidg, sondern auch sehr gut möglich wäre. Zeit dafür hätten wir gerade, und wahrlich nichts besseres zu tun, als unsere Zukunft besser zu gestalten. Wir können aus unserer Angst, aus unserer Ohnmacht heraustreten, wir können "zum Täter unserer Geschichte" (Heydorn) werden, wir können die Welt verändern. Und hinter diesen Anspruch will ich nicht zurück.

Kommentierende Essays dazu: Stöcker Wissenschaft ist keine Wunschmaschine und Prantl Pressefreiheit

Posted by Michael Weisbarth

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